Der Weg zum Autismusbegleithund…

Mittlerweile ist es hier recht ruhig geworden. Dies liegt daran, dass sich der Großteil unseres Lebens nun auf Facebook abspielt. Jede*r der weiterhin an unserer Geschichte interessiert ist, den möchte ich bitten uns doch auf Facebook zu folgen. Neuigkeiten gibts auf: https.://www.facebook.de/Herzensangelegenheit1

Im Moment sammeln wir gerade Geld für einen Autismusbegleithund für Finn, denn im Laufe der letzten Jahre haben seine Verhaltensauffälligkeiten stark zugenommen, so dass wir oft nicht mehr genügend Begleitung und Hilfe für ihn sind. Jede*r der uns gern unterstützen möchte kann Hintergründe bei Facebook erfahren oder auf dieses Konto überweisen:

https://www.paypal.com/pools/c/8sfLVtYDiv

Wir danken euch für eure Unterstützung 🧡

Russisch Roulette

Dein Vater greift nach meiner Hand und drückt sie fest, während ich nicht weine sondern heule. Die Tränen rinnen einfach über das Gesicht und die Luft ist so dünn, dass die Wörter im Mund förmlich zerbrechen.

Es ist der 12.3.18. Es ist der gestrige Tag als wir uns am Morgen aufmachen um nach Leipzig zu fahren. Auf dem Weg zum Auto mag ich gar nicht weiter darüber nachdenken. In mir macht sich ein Gefühl von Übelkeit breit. Ich versuche es zu unterdrücken und weiß, dass es die Angst vor dem heutigen Tag ist. 2 Stunden später sind wir in Leipzig. Der Termin ist 10 Uhr und wir müssen noch etwas warten. Ich sehe den Arzt. Er grüßt uns, holt die Akte und entschuldigt sich erst mal, dass es noch einen Moment dauert. Ich schimpfe für mich, weil ich es nie verstehen kann, warum man Termine erhält um dann noch eine Stunde zu warten. Mittlerweile ist es 11 Uhr. Unser Sohn spielt mit verschiedenen Fahrzeugen, keine Ahnung worum es heute gehen soll. Wir werden aufgerufen und neben dem Arzt möchte gern noch eine Kinderärztin am Gespräch teilnehmen und fragt ob es ok wäre – wir stimmen zu. Wir befinden uns an dem Tisch an dem wir auch im August 2017 bereits saßen und von dir berichteten. Auch heute teilen wir mit wie du dich entwickelst bevor der Arzt uns das Ergebnis der kompletten Erbgutanalyse übermittelt. Er fragt uns, ob wir das Ergebnis nun wissen wollen. Wir schauen uns an und nicken. Ganz bedächtig fängt er an zu erzählen, dass sie tatsächlich eine Auffälligkeit gefunden haben am SOX11 Gen und benennt ein Syndrom von dem auch ich noch nie gehört habe.

COFFIN SIRIS SYNDROM 

Die Tränen laufen während er erzählt und er möchte eigentlich warten. Dein Vater greift nach meiner Hand und drückt sie fest, während ich nicht weine sondern heule. Die Tränen rinnen einfach über das Gesicht und die Luft ist so dünn, dass die Wörter im Mund förmlich zerbrechen. Ich hole tief Luft und versuche ihm zu sagen, dass er weiter sprechen soll und das es darum geht, dass wir bereits so lange nach einem Grund suchen und ihn nun heute erfahren. Er fährt fort, benennt Symptome und mögliche Symptome die auftreten können und plötzlich ergeben viele Dinge deiner Entwicklung einen Sinn. Er spricht von kleinen Händen, kleine Füße, winzige bzw. fehlende Nägel, Kleinwuchs, Hörstörungen, Sprachstörungen, Sehbeeinträchtigungen, Epilepsie uvm. Wir erfahren auch, dass das Syndrom sehr selten ist. Eine Zahl an Betroffenen kann der Arzt uns nicht nennen. Auch sagt er, dass unser Sohn eine milde Form hat und es deutlich ausgeprägter sein könnte. Das Gespräch verläuft sehr vorsichtig. Der Arzt tastet sich langsam an alles heran, spricht bedächtig und gibt Raum für Fragen. Zwischenzeitlich hatte ich mich schnell wieder beruhigt. Plötzlich sagt er, dass das Syndrom nicht vererbt wurde sondern es eine Neumutation ist. Ich weine erneut und bin sauer und fassungslos über dieses russisch Roulette. Ich sitze da und schüttel leicht den Kopf, dazwischen Tränen. Der Arzt wartet ab. Während ich auf meine Taschentücher starre, merke ich wie er mich ansieht und ich frage mich warum er mich so anstarrt während ich weine, was völlig bizarr ist und genauso schnell im Kopf war, wie es wieder verschwand. Ich frage ihn wie die geistige Entwicklung aussieht, da auch diese betroffen ist. Aber er eiert rum und kann uns nicht wirklich viel dazu sagen. Viel zu wenig ist darüber bekannt. Er spricht von einer leichten bis mittelgradigen geistigen Behinderung und benennt Werte zwischen 60-70 beim IQ. Ich denke mir „wenns so wäre, wäre das gut.“ Er gibt uns Tipps was an Förderung laufen sollte und worauf wir achten müssen, all das machen wir bereits. Er sagt auch, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Neumutation bei einem weiteren Kind bei 1% liegen würde. Er möchte wissen ob wir noch weitere Fragen haben aber wir sind erst mal sprachlos und müssen noch alles realisieren. Wir verabschieden uns und verweilen noch eine Weile im Wartebereich bevor wir wieder nachhause fahren.

Es ist eine Achterbahn der Gefühle. Mit dem Gefühl der Freude, nun ein Ergebnis zu haben, mischt sich das Gefühl der Ohnmacht und Traurigkeit. Es war klar, dass etwas gefunden wird, haben doch all die anderen Untersuchungen nie etwas ergeben. Dennoch gab es da dieses kleine bisschen Hoffnung, dass auch dieses mal alles umsonst war. Ich weiß nicht, was ich mir erhofft habe. Ich denke beinahe Beides. Bereits im Auto suchten wir nach Informationen und fanden nur sehr wenige. Es gibt keine offizielle Betroffenenzahl und es gibt verschiedene Untergruppen, da das Syndrom durch unterschiedliche Genmutationen hervorgerufen wird. Jetzt warten wir noch auf den offiziellen Befund per Post und müssen alle beteiligten Ärzte darüber informieren.

Die Suche hat ein Ende.

Jetzt beginnt das Annehmen.

Wenn eine Tür sich schließt, öffnet sich eine andere. Oder „gefangen im Baustellenkarussell“

Als Mutter eines beeinträchtigten Kindes fragt man sich oft, welche Baustellen denn noch so dazu kommen werden. Gerade nach einer Frühgeburt gibt es immer wieder Phasen in denen man sich Gedanken um die Entwicklung des Kindes macht. Man liest von vermeintlichen Komplikationen, die Frühgeborene haben können, und hofft, dass das Kind sie nicht bekommt. Prinzipiell wurden wir während des Krankenhausaufenthalts damals sehr gut verschont. Er hatte keine Probleme mit dem Darm, benötigte keine Operationen und war auch nie intubiert. Natürlich war der Verlauf trotzdem kompliziert aber er hatte nie Hirnblutungen oder irgendwelche anderen schlimmen Dinge. Die Atemaussetzer waren schlimm. Keine Frage. Aber wir haben sie überstanden. Das Reanimationstraining oder den Notfallsauerstoff zuhause nie gebraucht – Gott sei dank. Wir sind zuversichtlich, seit 3 1/2 Jahren und haben dennoch häufig Tage oder vielleicht auch nur kurze Sequenzen, in denen wir uns fragen, wie wird es ihm gehen, wenn er größer wird, welche Zukunft wird er einmal haben, wird er sie selbstbestimmt gestalten können?! „Mal schauen, ob ihr Kind jemals alleine sitzen können wird.“ Die Worte hallen nach, haben sich eingebrannt in den Kopf – damals am 8.10.14. Der Tag an dem er Nachhause dürfte und wir gemeinsam mit der Ärztin den Entlassungsbrief besprachen. Der Papa neben mir, das Kind im Bett und die Milchpumpe an meiner Brust. Gut, die Situation hätte bescheidener sein können aber auch schöner – vielleicht ohne Milchpumpe als Zeuge und einer Ärztin die so tat, als würde sie das mehrfach am Tag machen. Zuerst war es für mich etwas befremdlich aber dann der Gedanke, dass sie im Krankenhaus jeden Tag viel kuriosere Dinge sehen als Frauen die Milch für ihr Kind abpumpen. Nun gut. Weitermachen und zuhören wie sie die Sätze übersetzt. Der 8.10.14 ist lange her. Wir hatten Physiotherapie. Vojta, Bobath, Galileo. Einiges länger, manches kürzer. Und da war es, das Kind was irgendwann alleine saß, robbte und krabbelte und plötzlich mit 2 Jahren am Tisch stand. An selbstständiges Laufen war lange nicht zu denken. Maximal an den Händen gestand er uns zu. Gefiel ihm der Weg nicht, ging er sofort auf die Knie. Er hangelte sich an der Wand lang, machte Kniestand gefühlte Monate lang aber die Kinder im Kindergarten fanden es toll und machten es nach und er freute sich darüber, dass er irgendwie Reaktionen erhielt. Für die anderen war es Sport und für ihn die Möglichkeit selbstständig zu sein. Der Kindergarten berichtete dann von Zeiten in denen er frei stand und wenige Schritte tippelte – Zuhause zeigte er das bis dato nie. Doch irgendwann war es dann soweit und wir platzten fast vor Stolz. Es war nun mittlerweile November 17 und unser Wunsch für Weihnachten bestand darin, dass er endlich frei steht und vielleicht einige Schritte frei läuft. Der Wunsch sollte in Erfüllung gehen. Zu Weihnachten hangelte er sich noch von Tischen zu Stühlen und Sofas aber am 28.12.17 wurden die Entfernungen größer und nun möchte der kleine Mann nicht mal mehr an der Hand laufen wenn man mit ihm irgendwo unterwegs ist wo er gut laufen kann. Zugegeben, es sieht noch etwas wackelig aus aber er ist dem Stück zur Selbstständigkeit einem großen Schritt näher gekommen.

Heute hatten wir dann einen Termin beim HNO. Im Dezember 16 und im Januar 17 hatte er jeweils eine Mittelohrentzündung mit geplatzten Trommelfell. Erst das linke Ohr, dann das rechte. Vorher befand er sich bereits in der aktiven Sprachentwicklung, konnte Teddys als Teddy bezeichnen. Essen als Mamam. Es folgten Wörter wie Mama und Dada. Und dann…… Stille bzw. nur noch Gebrabbel. Zugegeben, unser Hauptaugenmerk lag nicht auf der Sprache denn alle Stellen sagten immer, dass es erst ab 3 überhaupt behandelt werden würde über die Logopädie, dass das Sprechen erst mit dem Laufen kommt usw. Na ja und wir warteten doch schon lange auf das Laufen. Unser Kind ist laut, kreischt und quiekt vergnügt, so sehr, dass oft unsere Ohren dröhnen und er Lachanfälle hat, weil er es mag. Er legt sich auf alles was Geräusche macht, nimmt unsere Hände und drückt sie auf seine Ohren, legt sein Ohr auf unsere Münder und wir müssen Geräusche machen – am Liebsten irgendwelches Gequietsche – Hauptsache laut und hoch. Wir können uns nicht erinnern, ob er schon immer so laut war. Zumindest ist er es schon eine Weile, so lange, dass wir uns nicht erinnern können, wann es angefangen hat. Da ist sie nun die nächste Baustelle. Heute wurde sie eröffnet. Unser Kind ist schwerhörig. Die Trommelfelle definitiv nicht in Ordnung. Das Linke schlechter als das Rechte. Sie schwingen wohl kaum. Ich erzählte, dass wir gehofft haben, dass etwas gefunden wird und das er vielleicht Paukenröhrchen bekommt und  sich dann auch so toll entwickelt wie andere Kinder. Die Logopädin meint, dass er vielleicht ein Hörgerät benötigt. Nun gut, Hauptsache hören. Hauptsache sprechen lernen. Endlich kommunizieren ohne Schreien, quietschen und Fremdaggressionen. Ein Stück mehr Normalität. Dennoch heißt es Warten. Die Baustelle ist jetzt noch eine Weile eröffnet. Wir müssen vorher noch zum Chef um alles weitere zu besprechen oder sagen wir, wir haben noch eine Untersuchung vor uns. Eine sogenannte BERA in Sedierung / Narkose, allerdings erst in 3 Monaten, aber immerhin gibt es die Auswertung am selben Tag.

Ich bin nur mal schnell Zigaretten holen…

Keine Sorge, ich habe noch nie geraucht, nicht mal gezogen aber dieser Satz schreit grad völlig aus mir heraus. Vor drei Jahren saßen wir am Inkubator und machten Witze über sogenannte „Arschlochkinder“. Immer wieder hatten wir dieses Thema: „Stell dir mal vor, wir sitzen hier wochenlang am Bettchen und hoffen, dass unser Sohn alles gut übersteht. Wir fahren emotionale Achterbahn in Dauerschleife, bis wir ihn irgendwann mal mit Nachhause nehmen können und dann irgendwann wird er so ein Arschlochkind. Ein Kind was später nur am rumschreien ist, ein blöder Teenager der später auch mal sagt, dass er eigentlich gar nicht auf der Welt sein wollte.“ – Darf ich vorstellen, da ist es nun: Unser Arschlochkind. Ich weiß, dass klingt hart. Aber in einer Zeit in der es eh gerade stressig ist, der Körper seit Tagen diffuse Schmerzen im Oberarm hat – vermutlich weil ich seit 3 Jahren dieses Kind tragen muss und er das einfach nicht zu würdigen weiß –  und ich eigentlich für eine Nachprüfung lernen müsste aber das Kind krank ist und Zuhause bleibt, entpuppt sich diese süße kleine gefräßige Raupe zum richtigen Satansbraten, der nur schreit, kreischt, weint oder um sich schlägt, weil ihm etwas nicht passt. Liebe Eltern von Kindern in der Trotzphase, ich denke, ihr wisst genau was ich meine und schmunzelt gerade in euch hinein, dass ihr in mir eine Verbündete gefunden habt. Ja hier bin ich. Ich ertappe mich dabei wieviel Wut ich für dieses Kind, was ich liebe, phasenweise empfinden kann. Eigentlich ist es auch keine Wut auf ihn sondern auf die Tatsache, dass ich einfach nicht weiß was er will da er ja nicht spricht. Und mit nicht, meine ich gar nicht. Er schreit einfach nur, zeigt auf den Tisch, schreien, verdammt warum dauert Essen machen auch so lang?! Und da befinden wir uns auch schon im Teufelskreis. Das Kind schreit und ich versuche ihm zunächst in leichter Sprache zu sagen, dass es noch einige Minuten dauert. Das Schreien wird lauter und schrill und ich rede mit Engelszungen – allerdings ohne Erfolg. Bis ich, durch das Geschrei meines Kindes, irgendwann an dem Punkt bin, wo ich lauter werde aber auch das versteht er nicht – wie auch? So extrem geht es nun schon seit zwei Tagen – die vorherige Phase hatten wir bereits überwunden. Und seit zwei Tagen sind wir beide auch ziemlich genervt voneinander. Zwischendurch überwiegen aber auch die deutlich positiven Momente in denen wir spielen, gemeinsam Lieder summen oder kuscheln. Wo ist dieses kleine verträgliche Menschlein hin, von dem immer alle gesagt haben, dass es so ein entspanntes Kind ist und ihm ja gar nichts irgendetwas ausmacht? Wenn es jemand findet, bitte zeigt ihm dem Weg zurück Nachhause …. Ich warte hier.

Erinnerung meets Reality

Es ist 11:13Uhr an einem Freitag vor 3 Jahren, wo du das Licht der Welt erblickst. Du bist klein, zierlich und hast gerade einmal soviel Kraft für einen kleinen Schrei, der so leise ist, dass er fast im Operationsalltag und der Kaiserschnittroutine untergeht. Du wirst mir gezeigt und ich fühle mich so leer in diesem Moment, es rinnt mir eine kleine Träne die rechte Wange herunter, während ich dir einen sanften Kuss auf die Stirn gebe und du mich dann schon wieder verlässt. Es fühlt sich unwirklich an. Vor einer Stunde warst du noch im Bauch und jetzt bist du da. Auch die restlichen Tage fühlten sich unecht an, doch das Gefühl der Leere in meinem Bauch blieb und war zu präsent als Einbildung zu sein. Wieder einmal ist er da. Der Tag an dem du das Licht der Welt erblickt hast. Es erinnert mich unwillkürlich an die Zeit die wir durchlebt haben. An die guten und die schlechten Tage. Auch jetzt, 3 Jahre später, tut es manchmal immer noch weh. Die Ziele dir wir für dich hatten, waren von Anfang an da. Du wirst nicht lange im Krankenhaus bleiben, du wirst alles aufholen, du wirst Laufen lernen und auch das Sprechen. Du wirst lächeln und mit uns gemeinsam lachen. Für Alles brauchtest du viel Zeit und auf Vieles warten wir auch jetzt, 3 Jahre später, noch. Die Ziele, die wir insgeheim für dich steckten, wurden mit der Zeit kleiner. Die Zeiträume, die wir dir zum Erreichen geben, größer. Wir sind geduldig, doch manchmal tut es weh. Ich beobachte oft deinen Vater, wenn er dich ansieht und ich sehe seine Angst und Unsicherheit vor deinerZukunft. Auch ich habe diese Angst und hoffe, dass du sie nicht bemerkst. Ich möchte, dass du nicht merkst, wieviel Kraft das Alles manchmal kostet, dass du, so gut es geht, sorgenfrei deine ersten Lebensjahre erlebst – Sorgen wird es später noch genug geben. Wir lieben dich bedingungslos, du gibst die Zeit vor, die du brauchst, doch manchmal wäre es schöner, wenn es einfacher wäre. Ich führe Gespräche mit Menschen, die mir sagen, dass die Zeit, wo die Kinder noch nicht so selbstständig (mobil) waren, durchaus ihre Vorzüge hatte, denn nun rennen sie ihren Eltern davon oder machen Dinge die sie nicht tun soll. Ich höre mir das an, manchmal sage ich etwas. Manchmal denke ich mir auch, dass das genau die Dinge sind, von denen ich auch erzählen will aber nicht kann. Vor einigen Wochen erhielt ich eine Nachricht von meiner Halbschwester. Wir haben keinen (nennenswerten oder existierenden) Kontakt. Sie lag schwanger im Krankenhaus und fragte mich über dich aus. Ich war genervt und gekränkt zugleich, mich auszuhorchen wie es dir nun geht. Ich schrieb eine vielsagende Nachricht zurück, mit unseren Ängsten, Sorgen, Untersuchungen, Prognosen die es nicht gab usw. und antwortete auf die Frage, ob es dir gut geht nur: „Ob es ihm gut geht? Ich denke schon. Er lebt.“ Ich mag es nicht, wenn man mir sagt, dass du Glück hast, dass du bei mir gelandet bist, nur weil ich Heilerziehungspflegerin bin und mich damit auskenne. Wärst du falsch bei mir, wenn ich es nicht wäre? Ich glaube kaum. In erster Linie bin ich für dich deine Mama und nicht deine pädagogische Fachkraft.

Manchmal sind die Tage schwer. Du bringst mich zum Lachen, du bist frech und testest deine Grenzen aus und machst es ganz gezielt. Du bist interessiert und manchmal nicht anwesend, blendest uns und alles andere aus. Manchmal erwisch ich mich dabei, wie ich darüber nachdenke, dass du nicht alles aufholen wirst und um so älter du wirst, desto größer wird die Entfernung zu gleichalten Kindern. Und ich frage mich, wie dein Leben einmal aussehen wird, was du können und welchen Weg du einschlagen wirst. Ich bin mir sicher, dass du irgendwann alleine laufen kannst und ich freue mich darauf dir hinterher zu rennen. Ich wünsche mir, dass du kommunizieren kannst, egal wie. Ob mit Gebärden, Bildkarten oder Wortsprache – kommunizieren wäre toll.

Manchmal wünsche ich mir ein zweites Kind so sehr, dass ich es am Liebsten jetzt sofort hätte. Ich weiß nicht warum aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es unbeeinträchtigt auf die Welt kommt, auch wenn du vermutlich einen Gendefekt hast. Ich erinnere mich in letzter Zeit sehr oft daran, dass ich vermutlich von Anfang an gespürt habe, dass etwas nicht stimmen wird. Ich hatte keinen Nestbautrieb und habe den Kauf der Bekleidung und Möbel auf die lange Bank geschoben. Ich schob es auf das Geschlecht und das die Frauenärztin „wahrscheinlich ein Junge“ sagte. Aber umso öfter ich darüber nachdenke, denke ich, dass ich es schon die ganze Zeit wusste. Die Erstausstattung habe ich vom Krankenhausbett aus im Internet bestellt. Ich denke, heute weiß ich warum ich es vorher nicht wollte.

Heute ist der Tag der Tage. Du wirst 3 Jahre alt. Wir feiern heute nicht mit unserer Familie, so wie in den letzten 2 Jahren, sondern nur zu dritt. Neben all der Arbeit fehlt uns häufig die Familienzeit. An deinem Geburtstag nehmen wir sie uns.

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Umbruch

In letzter Zeit mache ich mir häufig Gedanken über meinen Sohn. Es gibt soviel Dinge die angegangen werden. Dinge für die man zum Teil kämpfen muss. Dinge auf die man wartet. Zum Einen warten wir derzeit auf das Gutachten der Amtsärztin für den Integrationsplatz. Interessant ist, dass sie uns am Liebsten gleich einen heilpädagogischen Platz bis zum Schuleintritt bewilligt hätte. Dabei ist für uns klar, dass wir derzeit keinen heilpädagogischen Bedarf sehen. Klar haben kleine Gruppen ihre Vorteile aber in Dresden gibt es nur begrenzte Plätze und wir sehen derzeit keinen Bedarf darin. Wir möchten, dass unser Sohn von anderen Kindern ohne Defizite lernen kann, sich an ihnen orientieren und wir wollen auch, dass andere Kinder von ihn profitieren und positiv beeinflusst werden. Natürlich macht es mir auch Angst all die fitten Kinder zu sehen die in seiner zukünftigen Kindergartengruppe sein werden aber was ich auch sehe ist, dass dort Kinder sind, die sich auf ihn freuen und das dort Erzieher sind die Lust auf die Arbeit mit ihm haben und die sich im Vorfeld schon Gedanken machen wie sie ihn unterstützen können. Wir haben einen tollen Kindergarten gefunden. Einen der mit dem Gruppenkonzept und nach dem situativen Ansatz arbeitet. Eine Kita, die schaut wo der Bedarf jedes einzelnen Kindes ist. Ich erzähle so gerne davon, wie die Leiterin uns sagte, dass sie bei einem Kind was Orthesen hatte und noch nicht frei laufen konnte, alle Möbel so gestellt haben, dass es sich an ihnen selbstständig bewegen konnte. Das ist es, was unser Sohn braucht! Menschen, Pädagogen, die ihn kennen lernen und gemeinsam überlegen wovon er profitieren könnte. Erst am Montag waren wir zu einem erneuten Gespräch in der Kita und lernten die Bezugserzieher kennen. Alle beide sind tolle Frauen. Eine ist Heilpädagogin und sie freut sich schon total auf ihn. Sie erzählten, dass sie überlegen einen Handlauf für ihn zu installieren damit er sich frei bewegen kann (auch wenn das nicht unbedingt nötig ist). Es wird für ihn einen „Paten“ geben. Das ist ein älteres Kind was sich in der Anfangszeit intensiv mit um ihn kümmert, auf ihn ein Auge hat und ihn im Alltag hilft, ihm alles zeigt usw. Und wir können jeder Zeit am Nachmittag bereits vorbeikommen um ihn an die Einrichtung zu gewöhnen. Er kann so bereits alles kennen lernen und sich mit den Gesichtern und Kindern vertraut machen, bevor im August die Eingewöhnung beginnt. Wir freuen uns sehr, denn wir haben das Gefühl wirklich willkommen geheißen zu werden. So hat es doch ein Gutes, dass es mit der anderen Einrichtung nicht geklappt hat. Dort gab es übrigens eine Einladung zu einem klärenden Gespräch mit der Option, dass uns doch ein Integrativplatz angeboten werden kann. Ich habe, nach etwas längerer Zeit geantwortet, und dies dankend abgelehnt. Ich möchte mein Kind nicht in einer Kita wissen, in der im Vorfeld solche Probleme waren. Das gegenseitige Vertrauen ist dann doch irgendwie gestört.

Die andere Sache auf die wir warten, ist die Antwort auf meinen Widerspruch beim MDK (medizinischen Dienst der Krankenkassen). Ich habe vor einer Weile ja schon mal geschrieben, dass unser Sohn einen Pflegegrad hat. Letztes Jahr wurde dieser noch in Minuten gemessen. Das heißt, die Tätigkeiten die wir an ihm verrichtet haben, wurden mit einem unbeeinträchtigten Kind verglichen. Je nach Zeitaufwand wurde dann eine sogenannte Pflegestufe zugeordnet. Er erhielt damals die Pflegestufe 1. Viele Dinge wurden damals nicht berücksichtigt, da es auch nach dem Alter des Kindes geht und er war damals kurz vor seinem 2. Geburtstag. Da sagt dann der MDK, dass ein Kind in dem Alter in vielen Sachen sowieso noch „pflegebedürftig“ und unselbstständig ist und Hilfe bedarf. Zum Jahreswechsel gab es dann eine Pflegereform und es wurde nun in fünf Pflegegrade unterschieden. Unser Sohn rutschte nun automatisch in den Pflegegrad 2. Nun wird er nächsten Monat 3 Jahre alt (Boah!) und ich habe eine Neubegutachtung beantragt. Schließlich hat sich im Vergleich zu letzten Jahr nicht viel getan und Kinder in dem Alter sind durchaus schon sehr fit, können Reden, Laufen, sich an- ausziehen usw. Nun hatte mein Kind an dem Tag der Begutachtung allerdings noch mit den Nachwehen einer heftigen Magen-Darm-Grippe zu kämpfen. Denn, nachdem er die letzten 4 Tage nur gebrochen hatte, war er am Tag der Begutachtung mehr als kaputt. Er lag nur da, rührte sich kaum, war immer kurz vorm Einschlafen. Es war quasi keine realistische Begutachtung möglich und leider hat die Gutachterin anscheinend auch viele Dinge falsch interpretiert, obwohl klar und deutlich ausgesprochen. So kam keine Woche später das Gutachten mit der Ablehnung. Es hätte sich im Vergleich zur letzten Begutachtung kaum etwas verändert. Interessant war aber besonders das Modul „kognitive und kommunikative Fähigkeiten“ Ein paar Auszüge daraus ergeben, dass unser Sohn uneingeschränkt in der Lage ist:

  • sich zeitlich zu orientieren
  • mehrschrittige Handlungen zu strukturieren (= Er versteht Aufforderungen wie z.B. Zieh deine Schuhe an, setz dich an deinen Platz usw.)
  • elementare Bedürfnisse mitzuteilen
  • sich in geringen Maße an Gesprächen zu beteiligen
  • und Aufforderungen größtenteils zu verstehen

Das Interessante daran ist, dass unser Sohn kaum über Sprachverständnis verfügt und sich seine einzigen Worte auf Lautierungen begrenzen (Teddy, Wauwau, Mama). Es gab noch mehrere geistige Auswüchse der Gutachterin die ich jetzt nicht näher beleuchten möchte, denn sonst rege ich mich nur wieder auf 😉 jedenfalls warte ich seitdem auf die Antwort meines vierseitigen Widerspruchs. Schön ist, dass uns nur 1,25 Punkte zum nächsthöheren Pflegegrad fehlen. Da das natürlich einiges an Geld ausmacht (ca. 200€ – kann ja auch jeder, den es interessiert im Internet nachlesen), denke ich, wird die Krankenkasse da einfach auf Dummfang gehen und erst mal ablehnen denn viele widersprechen ja nicht. Seien wir also gespannt wo das noch hinführt.

Immer noch warte ich auf die Rückmeldung vom Sozialamt denn wir haben, nach wirklich langer und intensiver Auseinandersetzung damit, vor einiger Zeit einen Antrag auf Feststellung einer Schwerbehinderung gestellt. Einige wissen das ja bereits. Über 60 Seiten Befunde und Arztbriefe hat die nette Sachbearbeiterin von mir erhalten und auch die Info, dass es keine weiteren Befunde gibt. Sie sagte mir, dass es ein halbes Jahr mit der Bearbeitung dauert. Jetzt ist mir auch klar wieso. Denn ein Vögelchen aus dem Krankenhaus hat mir mitgeteilt, dass sich das Sozialamt noch mal alle Befunde bei ihnen einfordert. Oooooookay. Warum einfach, wenns auch schwer geht. Vielleicht nehmen sie ja an, dass ich zuhause ein tolles Programm habe und alá „Catch me if you can“ Manier Befundbetrügerei hauptberuflich nachgehe und Befunde selber schreibe und mir Diagnosen aus dem Allerwertesten ziehe?! Vielleicht merken sie ja auch bald, dass sie irgendwie genau die gleichen Dinge erhalten, die sie schon von mir bekommen haben und geben es irgendwann auf. Manchmal hilft auch nur Optimismus um in dieser ganzen Bürokratie den Kopf oben zu halten….

Was wir schon erhalten haben, ist ein neuer Befund der Humangenetik. Es wurden ja Auffälligkeiten im Gehirn entdeckt, wo noch nicht ganz klar ist, ob diese der Auslöser für die Muskelschwäche und Entwicklungsverzögerung sind. Es gab nun wieder neue Syndrome die auf Grund des MRT Befunds in Frage kamen – aber die sind glücklicherweise negativ. Das wären Erkrankungen, die mit schwerer Epilepsie (die er nicht hat) und verkürzter Lebensdauer einher gehen würden. Das heißt auf der einen Seite natürlich Aufatmen, auf der anderen Seite geht die Suche auch irgendwie immer noch weiter. So richtige Ideen scheint Niemand zu haben und ich frage mich, ob ich nicht vielleicht mal über den Dresdner Tellerrand schauen sollte, um eine Praxis / einen Spezialisten außerhalb aufzusuchen aber wo ist man da richtig?? Unsere Humangenetik hat auf jeden Fall auch noch Kontakt zu einer Ärztin die den ganzen Tag nur Hirn MRTs auswertet und will das dort noch mal vorlegen, vielleicht hat sie eine Idee. Es ist irgendwie schön zu wissen, dass es kein frühkindlicher Hirnschaden ist. Wiederum ist es nun dann wohl doch genetisch, ein Gendefekt oder was auch immer und die Entwicklung nicht vorhersehbar. Die größte Angst ist die vor einer geistigen Behinderung – warum auch immer. Die Angst, dass das eigene Kind nie selbstständig leben wird und immer auf Hilfe angewiesen. Die Angst, was die Zukunft für ihn bringt. Ob er gemieden wird, diskriminiert, ausgegrenzt usw. Ich habe keine Angst davor, dass er nicht glücklich sein wird, sondern ich habe Angst vor der Gesellschaft. Was bringt mir all die Offenheit die ich anderen entgegenbringe, wenn er sie vielleicht nie kennen lernen wird?! Ich freue mich so sehr über die neue Kita, denn ich denke, dass nur so Inklusion gelebt werden kann. Wenn es Einrichtungen gibt, die sich das zutrauen. Es schockierte mich ein wenig, als die Erzieherin sagte, dass endlich mal kein Kind mit einer sozial-emotionalen Störung kommt, denn ich frage mich tatsächlich, ob Kinder wie unser Sohn tatsächlich so selektiert werden – durch das Sozialamt mit einer Empfehlung für einen heilpädagogischen Platz und zum Teil auch durch die Eltern. Warum können Kinder nicht in (integrative) Kitas gehen, die sich das zutrauen und geschultes Personal haben. Ich kenne eine Mutti aus der Frühförderung. Sie hat einen schwerst mehrfach behinderten Sohn der ebenfalls in diese Kita gehen sollte. Die Kita wollte das auch aber das Problem war die Finanzierung, denn sie hätten für 3 Stunden täglich eine zusätzliche Kraft benötigt und niemand wollte diese Kraft bezahlen. Einen heilpädagogischen Platz ja aber keinen zusätzlichen Mitarbeiter stundenweise. Es ist ein Trauerspiel. Ich wünsche mir sehr, dass Kinder wie der kleine A. auch irgendwann die Möglichkeit erhalten mit unbeeinträchtigten Kindern gemeinsam betreut zu werden und das ohne die Frage nach der Finanzierung. Wenn alle immer von Inklusion sprechen, dann soll sie Bitteschön auf gelebt und durchgeführt werden!

Geschichten aus dem Alltag

Vor einiger Zeit erwähnte ich mal, dass wir ein Gespräch mit unserer jetzigen Kita hatten und zum Sommer die Einrichtung wechseln müssen. Unser Sohn würde im KiGa untergehen, sollte er in der Einrichtung bleiben und benötigt eine bessere bzw. andere Betreuung. So durchforstete ich Internetseiten, las Beschreibungen, Konzepte u.v.m. und fand eine Einrichtung in unserer Nähe. Gruppenkonzept. Integrationskindergarten usw. Wir telefonierten und ich erzählte von meinem Anliegen. Gleichzeitig füllte ich das zuständige Dokument im Elternprotal aus, beschrieb dort noch ein mal unser Kind, welche Besonderheiten gegeben sind und das er vermutlich mit Integrationsstatus kommen wird, denn diesen hat er bisher nicht. Anfang März erhielt ich dann eine Email, dass ab September diesen Jahres im KiGa Plätze zur Verfügung stehen, davon 2 Integrationsplätze. Wir würden eine Einladung zum 27.4.17 erhalten, wo wir uns das Haus anschauen können und klären können unter welchen Voraussetzungen eine Aufnahme möglich ist.

Nun ist der 27.4.17 der heutige Tag. Wir holten unseren Sohn aus der Kita ab, waren angespannt was uns wohl erwarten wird und gingen zum Termin. Wir betraten einen relativ in die Jahre gekommenen Kindergarten aber unser Sohn fand es interessant. Wir meldeten uns an und sollten dann im Besucherbereich auf die Leitung warten, was wir auch taten. Da kam sie nun. Hatte keine Ahnung wer wir sind und notierte sich unsere Daten. Ich lief mit unseren Sohn an den Händen geführt durch den Besucherbereich und sie fragte ab wann wir einen Platz bräuchten und stellte fest, dass es ein Integrationsplatz sein würde. Nachdem ich ihr dies bejahte und sagte, dass wir ab August wechseln wollen, entgegnete sie, dass sie keinen Platz frei haben, auch keinen Integrationsplatz – ab September übrigens auch nicht, wie in der Mail geschrieben. Mehrfach wiederholte sie das, weil wir nachfragten wie es denn sein könne, dass uns so etwas geschrieben wird. Eine Antwort hatte sie nicht. Mir liefen die Tränen – es wäre schön, wenn ein mal was klappen würde, man hat ja sonst nichts zutun mit einem Kind mit erhöhten Förderbedarf. Wir verließen die Einrichtung deutlich geknickt, ohne sie angesehen zu haben und ohne ein weiteres Gespräch. Wir saßen im Auto, schwiegen und schüttelten den Kopf, etwa 5-10min später fuhren wir Nachhause, nachdem ich ernsthaft überlegt habe noch mal zu ihr zu gehen und mich zu beschweren.

Es wird zwar nicht viel bringen aber ich werde ihr und auch dem Träger deshalb noch mal eine Email schreiben. Die Tatsache, dass der Kiga selbst schreibt, dass Plätze frei sein werden, uns einlädt und dann so tut als wüssten sie von nichts, ist alles andere als kompetent oder freundlich, denn wir standen da wie die letzten Trottel. Auch wenn vermutlich alles einen Sinn haben wird, ärgert es für den Moment gewaltig.

 

Gedankenkarussell

Unser Sohn ist jetzt zwei Jahre und neun Monate alt und macht unwahrscheinlich viele Fortschritte. Er wird immer sicherer beim Laufen und Stehen, wobei er das immer noch nicht alleine kann, aber heute ist er z.B. Draußen viele Schritte mit Unterstützung gelaufen wo er ja sonst häufig gleich zum Krabbeln ansetzt. Derzeit brabbelt er wie ein Weltmeister und lautiert ohne Ende. Er schäkert, ist glücklich und lacht. Dennoch merke ich nach all der Zeit immer noch, dass es mir sehr schwerfällt ihn als „behindert“ zu bezeichnen oder zu sagen, dass er eine Behinderung hat. Ich erinnere mich noch gut an die Aufnahme in der Rehaklinik als die Schwester fragte, ob eine Behinderung vorliegt und ich antwortete „na ja, er hat eine globale Entwicklungsverzögerung“ und sie daraufhin sagte „also geistige Behinderung.“ Das versetzte einen kleinen und kurzen Stich in meinem Herzen, denn sie sagte etwas, was bisher noch Niemand gesagt hatte und bis heute niemand äußerte – nämlich, dass er eine Behinderung hat. Gleichzeitig war ich einfach nur unwahrscheinlich sauer, dass sie sich das Recht herausnahm so eine Bemerkung zu machen bzw. eine Diagnose zu stellen. Für mich bedeutet Entwicklungsverzögerung in diesem Alter, dass er noch alle Chancen der Welt hat, doch noch alles aufzuholen. Ich sehe mich bzw. uns im Gedanken mit unserem Kind was ganz „normal“ neben uns herläuft und uns die schönsten Geschichten erzählt zu Dingen die es sieht und „Warum – Fragen“ stellt, so als wenn es schon immer so gewesen wäre und nie anders war. Vielleicht halte ich an dieser Vorstellung fest um mich nicht mit anderen Dingen auseinandersetzen zu müssen, nämlich mit dem Gedanken, wie es wäre, wenn es nicht so sein wird wie meine Gedanken es zeigen. Ich bin zu verkopft. Merke mal wieder die Anstrengungen der letzten knapp 3 Jahre. Wo andere Familienurlaube planen, plane ich wie ich am Besten einen Kontrolltermin legen kann um dann trotzdem noch zur Frühförderung zu kommen und unseren Sohn dann noch pünktlich in der Kita abzugeben. Ein ganz normaler Tag, ziemlich routiniert aber trotzdem stressig. Derzeit zieht es mich nach Draußen, ich möchte weg von all den belastenden Sachen in unseren Leben. Ich will meinen Partner, mein Kind und unseren Hund schnappen, uns ins Auto setzen und einfach die Welt sehen – keine Therapien, keine Ärzte, einfach nur uns, fremde Städte entdecken, Strand, Meer, Berge …. Alles was interessant ist, wohin uns der Wind eben trägt. Teilweise recherchiere ich im Internet, wieviel Geld man benötigt um durch einen Teil der EU zu reisen, welche Routen möglich sind, was man sehen sollte. Aber heute sitze ich hier über einen Antrag auf Feststellung einer Schwerbehinderung, habe Mühe und Not diesen korrekt auszufüllen obwohl alles ziemlich einfach ist und ich frage mich, ob es notwendig ist ihn zu beantragen. Ist mein Kind dafür „eingeschränkt“ genug und woran wird das eigentlich festgemacht. Wer entscheidet darüber, für wen das zutrifft oder nicht? Heißt ein Schwerbehindertenausweis gleichzeitig auch er ist behindert? Und wird seine Behinderung nur vorübergehend sein oder für immer? Ich weiß es nicht…

Gedanken zum Sonntag

Es gibt Mütter, die während der Schwangerschaft Alkohol trinken, rauchen oder sonstige Dinge tun und damit ihrem ungeborenen Kind bewusst schaden (können). Einige davon sah ich als unser Sohn bereits geboren war und noch auf der ITS sein Leben begann. Sie standen mit ihrem dicken Bäuchen vor dem Eingang der Frauen- und Kinderklinik und zogen an ihren Zigaretten. Für mich völlig unverständlich. Vielleicht wollten sie ihren Kindern keinen Entzug antun, vielleicht schafften sie es auch nicht aufzuhören oder vielleicht hatten sie einen Arzt, der behauptete, es wäre besser den Konsum zu reduzieren. Fakt ist, wenn ich mein Kind bewusst vor einer Gefahr beschützen kann, dann mache ich das. Ich verstehe heute immer noch nicht wie Eltern ihre Kinder durch die Gegend schieben können, die Mutter die Zigarette, der Vater das Bier in der Hand. Es sieht nicht nur asozial aus sondern ist es auch. Es gibt Studien darüber, dass Kinder, die ihre Eltern mehrfach die Woche Alkohol trinken sehen, später auch viel häufiger dazu greifen. So formt die Umwelt und das nähere Umfeld unbewusst die Kleinsten und sorgt dafür, dass Alkohol „normal“ ist und der Konsum ebenfalls.

Wie komm ich jetzt darauf? Am Montag fand unser geplanter Krankenhausaufenthalt statt. Der MRT Termin stand fest, sowie die Überprüfung des Bluthochdrucks. Wir haben uns lange davor gesträubt, denn wir wussten, dass nach all den Untersuchungen, die wir bereits hinter uns hatten, irgendwann nicht mehr viel übrig blieb. Lange Zeit waren wir wohl auch nicht bereit eine Diagnose in Empfang zu nehmen, die das Gehirn betrifft bzw. betreffen könnte. Doch jetzt war es soweit. Unser Sohn erhielt am Montag ein Herzecho und ein EKG, wegen des Bluthochdrucks. Diese Untersuchungen waren aber unauffällig, was mich freute, denn neben den ganzen Problemen mit den Nieren, die wir bereits hatten, wollte ich nun nicht auch noch ein Herzproblem haben. Am Dienstag Morgen erhielt er dann seine Flexüle und war so unglaublich tapfer, die EMLA Pflaster zur Betäubung der Handrücken taten dazu ihr Übriges. Gegen 11Uhr konnten wir dann zum MRT wo unser Sohn seine Sedierung erhielt. Es tat wieder so unglaublich weh ihn da so hilflos liegen zu sehen. Die Ärztin war allerdings sehr nett und erklärte uns wie er auf die Medikamente reagieren könnte. Als er dann schlief wurde er weggetragen und wir gingen um ihn nach ca. 30 Minuten wieder abzuholen. Als die 30 Minuten fast um waren, gingen der Papa und ich vor das Untersuchungszimmer und warteten, dass wir hineinkommen konnten. Die Anspannung lag deutlich in der Luft und wir beide waren so unglaublich ängstlich und traurig was eine Diagnose betraf. Was kommt raus und was wird es für uns und unseren Sohn bedeuten? Als wir reingeholt wurden schlief er noch aber er wurde dann kurze Zeit später wach und so holte uns die Schwester ab und brachte uns wieder auf die Station. Ihm ging es gut und er meisterte die Sedierung ohne Probleme. Am Nachmittag kam dann die Ärztin zu uns und gab uns eine kurze Auswertung die aber im Nachhinein viele Fragen mit sich brachte.

Was wir wissen ist, dass er keinen frühkindlichen Hirnschaden hat. Er hat einen zu schmalen Mittelbalken und einen zu kleinen Kleinhirnwurm, dieser verbindet die beiden Hirnhälften miteinander und ist z.B. zuständig für die Motorik und das Gleichgewicht. Es gibt Syndrome die genau diese Symptomatik mit sich bringen. Dazu kommen u.a. auch Sehstörungen wie z.B. den Nystagmus (Augenzittern), was unser Sohn auch ziemlich ausgeprägt hatte, Trinkschwäche und auch Muskelschwäche. Gleichzeitig sprechen wir da auch von leichten bis schweren geistigen Beeinträchtigungen. All das hat uns bisher kein Arzt gesagt aber ich habe mich im (verdammten) Internet belesen und erkannte ihn an vielen Stellen wieder. Ich hab verschiedene Hoffnungen. Unter anderem wünsche ich mir, dass in der Humangenetik keine syndromale Erkrankung gefunden wird und er das einfach nur so hat oder wie die Ärztin sagte: „Man macht ja nicht von jedem Menschen ein MRT. Vielleicht sagt es auch gar nichts aus.“ Eine andere Hoffnung ist, dass er z.B. noch nicht läuft da er Bluthochdruck hat und dieser u.a. auch Gleichgewichtsstörungen auslösen kann und das er es kann sobald er medikamentös gut eingestellt ist.

Natürlich fragt man sich „Warum?“. So eine Auffälligkeit ist genetisch bedingt und man kann persönlich nichts dafür und man kann es nicht beeinflussen. Doch dennoch ärgert es mich, dass Menschen / Mütter, dass Leben ihrer ungeborenen Kinder bewusst schädigen können und es dennoch machen. Und das es Menschen / Mütter gibt wie mich, die sich belesen und schauen was man vermeiden sollte, die nie geraucht haben, seit Jahren keinen Alkohol angerührt haben und deren Kind dann eine Einschränkung hat. Ich bin ehrlich. Ich habe die letzten 2 1/2 Jahre immer nur daran gedacht und gehofft, dass es kein frühkindlicher Hirnschaden ist, an eine Veränderung des Gehirns habe ich zu keiner Zeit gedacht. Und ich bin verwundert, dass vorher nie die Rede davon war, denn neben all der Blutuntersuchungen gab es auch sehr viele Kopfsonografien die nie dieses Ergebnis brachten was wir jetzt erhalten haben. Die Suche geht also weiter . . .

Was Kinder können müssen…

oder: Was ich mir für dich wünsche

Letztens überflog ich auf Facebook einen Artikel. Dieser handelte davon, welche 25 Wörter Kinder mit drei Jahren sprechen können müssen. Ich las diesen Artikel nicht wirklich sondern überflog lediglich die Kommentare. Ein Kommentar übertrumpfte das nächste und alle Mütter schwärmten davon, welche Wörter ihre Kinder schon alle von sich geben könnten und eine Mutter teilte mit, dass ihr Kind sogar „Physiotherapie“ aussprechen kann. Seitdem unser Sohn auf der Welt ist, verkneif ich mir weitestgehend mich bei solchen Themen einzuklinken. Ich finde es schrecklich wie rivalisierend Mütter teilweise untereinander sind und frage mich, wie genau sie davon profitieren. Kommentare von Männern zu solchen Themen habe ich bisher noch keine gesehen – sie wissen vermutlich schon warum sie sich das nicht freiwillig antun.

Da gibt es Richtlinien zu allen möglichen Entwicklungsschritten die Kinder erreichen sollten. Erreichen sie das bis zum angegebenen Zeitpunkt nicht, so sind sie entwicklungsverzögert und auch da gibt es Abstufungen von leicht bis schwer, motorisch, kognitiv usw. Oder wie bei unserem Sohn „global“ – was soviel heißt wie „in allen Bereichen“. Auch im evtl. Integrationskindergarten wurden wir bereits gefragt wie es denn mit der Sauberkeit aussieht und es wurde mitgeteilt, dass es keine Wickelmöglichkeit geben würde. Da frag ich mich allerdings warum es das in einem Integrationskindergarten nicht gibt, denn man muss ja damit rechnen, dass ein evtl. Integrationskind vielleicht noch nicht selbstständig aufs Töpfchen geht, geschweige denn bereits trocken ist. In unserem Fall ist auch so, dass unser Sohn mindestens ein Jahr hinterher hängt also ist ein Töpfchen auch noch gar nicht relevant. Denn gehen wir mal vom eigentlichen kognitiven Entwicklungsalter aus, so ist er derzeit etwa 1 1/2 Jahre alt.

Zur Zeit mache ich mir viele Gedanken, wann denn z.B. endlich der nächste Entwicklungsschritt kommt. Frei stehen kann unser Sohn z.B. immer noch nicht und so überlege ich, wie wir ihn da unterstützen könnten, was es für Hilfsmittel gibt und frage mich sogar, ob Orthesen nicht vielleicht auch langsam angebracht wären. Gleichzeitig versuche ich entspannt zu bleiben, bin aber vielleicht doch nicht so entspannt wie ich gerne wäre. Es ist das Übliche. Alle Kinder um einen herum laufen oder sprechen und wir, wir tragen oder schieben ihn im Buggy umher und versuchen zu erahnen was er uns mitteilen will. Am Ende ist es doch aber eigentlich egal, wann er etwas können wird oder nicht und es wird auch später in seinem Leben vermutlich niemanden mehr interessieren. „Ein Frühchen hat drei Jahre Zeit alles aufzuholen.“ – solche und ähnliche Sprüche hört man andauernd und sollen am Ende ja nur darüber hinwegtrösten, dass es nicht gleich in großen Schritten voran geht und den Eltern beibringen Geduld zu haben. „Ein besonderes Kind sucht sich immer besondere Eltern“ – auch dieser Satz mag am Anfang ganz toll klingen, ist aber am Ende nichts anderes als eine Form Unsicherheit zu überspielen und soll den Eltern helfen, dass Kind als eine Aufgabe anzunehmen, die sie nur bekommen haben, weil man davon ausgeht, dass sie es schaffen und man ihnen ein gutes Gefühl vermitteln möchte. Ich weiß nicht wie viele Mütter und / oder Väter täglich an diese Aufgabe zu scheitern drohen und sich fragen „Warum ich / wir?“ aber ich denke, es sind eine Menge. Wenn die Kinder klein sind, sieht man es ihnen ja auch kaum an, werden sie aber älter, werden die Auffälligkeiten, die für uns normal sind, für andere plötzlich auch ziemlich offensichtlich. So muss man sich dann rechtfertigen warum die Kinder solche Geräusche machen, bestimmte Verhaltensweisen haben, ist unschönen Blicken ausgesetzt und Mütter müssen sich plötzlich anhören, dass sie „ihr Kind doch besser erziehen“ hätten sollen.

Es gibt einen Bekannten, der in einem Laden arbeitet, den wir früher öfter mal besucht haben. Wenn wir gemeinsam da sind, fragt er meistens ganz interessiert, wie es denn dem „Kleinen“ so geht und wie er sich so macht. Geht meine bessere Hälfte alleine, verschwindet dieser besorgte und interessierte Unterton und es kommt die Frage „Na, wie geht’s eurem Mongo?“ Es verletzt uns Beide ungemein und derjenige kann froh sein, dass er das noch nie in meiner Gegenwart gefragt hat, denn sonst wäre ich ihm sicher mal in sein Gesicht gesprungen. Rechtfertigen tut er den Begriff „Mongo“ übrigens mit dem großen Kopf, den Kinder ja als Säuglinge und Kleinkinder haben – das ist übrigens auch ein Teil vom sogenannten „Kindchenschema“. „Das Kindchenschema umfasst eine Reihe kindlicher Körpermerkmale, etwa einen großen Kopf mit hoher Stirn, runde Wangen und große Augen. Verhaltensstudien bestätigten die Wirkung des Kindchenschemas auf Erwachsene. Das Kindchenschema ist ein angeborener Auslösemechanismus, eine vereinfachte Bezeichnung für Schlüsselreize, die besonders Kleinkinder und junge Tiere aussenden, wobei die Signale vor allem den Kopf betreffen, der durch seine relative Größe im Verhältnis zum übrigen Körper auffällt (…)“ (Erklärung) Nichtsdestotrotz finde ich diese Aussage von besagten Bekannten unterirdisch, denn egal wie auch immer er das begründet, ist das eine Aussage, die man nicht treffen sollte! Ich denke, die betreffende Person wird schon wissen, dass er gemeint ist, wenn er das mal lesen sollte….

Doch kommen wir zum eigentlichen Teil dieses Textes. Dinge, die ich mir für meinen Sohn wünsche, auch wenn das sicher einige sind und im Laufe der Zeit auch noch einige hinzukommen werden:

Ich wünsche dir, dass du deine aufgeschlossene, freundliche und freche Art beibehältst. Das du dein Lachen nie verlierst, egal wie schwer es auch manchmal ist.

Ich wünsche dir, dass du all die Dinge aufholst, auf die wir jetzt schon solange warten und du deinen Weg irgendwann ohne Ärzte und Therapeuten gehen wirst.

Ich wünsche dir, dass dich die Leute in deinem Umfeld so akzeptieren werden, wie du bist, egal wie auch immer du dich entwickeln wirst und das du immer Menschen um dich herum hast, die für dich da sind und dich respektieren.

Ich wünsche dir, dass du dich zu dem Menschen entwickeln kannst, der du später ein mal sein willst.

Ich wünsche dir, dass du einmal ein großer Bruder sein wirst, der den Namen auch verdient.

Ich wünsche dir, Spaß und Freude am Leben und eine Familie, die immer für dich da ist, für dich kämpfen wird und die richtigen Entscheidungen für dich trifft solange du es noch nicht kannst.

Ich wünsche dir, dass du trotz aller Hindernisse deinen Weg gehen wirst und es den Menschen zeigst, die je an dir gezweifelt haben.

 

–  Ich liebe dich –

 

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