Endspurt . . .

Der 14.09.14 war ein großer Meilenstein in unserem und im Leben unseres Sohnes. Nach insgesamt 52 Tagen, an denen sich sein und auch unser Leben fast ausschließlich auf der Intensivstation abspielte, wurde unser Sohn auf die Früh- und Neugeborenenstation verlegt. Wir waren gerade auf der ITS zu Besuch und warteten darauf wann es endlich los geht. Die zuständige Schwester rief auf der anderen Station an und sprach ein Machtwort, denn diese wollten ihn zunächst am Wochenende nicht aufnehmen. Nach dem Telefonat ging es auf ein mal ganz schnell. Seine Sachen sowie ein Märchenbuch wurden zusammengepackt und ich merkte, dass sich innerliche Aufregung in mir breit machte. In seinem Wärmebettchen, ohne Monitorüberwachung und einem Ambubeutel für den Notfall falls es zu einem Atemstillstand kommen sollte, fuhren wir los. Die Schwester und ich schoben sein Bettchen langsam über den Gang, vorbei an den ITS – Schwestern, die uns zum Abschied nur das Beste wünschten. Meine Augen füllten sich mit Tränen aber mein Gesicht lächelte. Dennoch schmerzte der Abschied von der Station. Vorbei der gute Personalschlüssel, eine Schwester die sich maximal um zwei Kinder kümmert und das Gefühl, dass das eigene Kind, neben dem eigenen Zuhause, dort am Besten aufgehoben ist.

IMG_3047Angekommen auf der Nachfolgestation merkte man sofort den Unterschied. Unser Sohn wurde in ein klitzekleines Dreibettzimmer geschoben, wo die Eltern der anderen beiden Kinder – auch Frühchen – uns aufmerksam musterten. Eine Schwester kam und gab uns, nach der Übergabe mit der ITS – Schwester, eine kurze „Einweisung“ was die Gegebenheiten der Station anging. Das Nachbarzimmer war mit einer Glasscheibe und einer Tür von uns getrennt, so dass diese eine Schwester sich um alle 6 !! Babys kümmern konnte. Unser Zimmer stand unter Isolierung. Alle drei Kinder hatten sich während des Aufenthaltes auf der ITS einen Keim zugezogen, der zwar nicht für sie selbst, aber ggf. für andere Babys gefährlich hätte sein können. Die anderen beiden hatten Handschuhpflege, unser Sohn hingegen hatte Kittel – und Handschuhpflege. Worauf auf der ITS penibel geachtet wurde zeichnete sich auf der Nachfolgestation ein anderes Bild ab. Trotz Hinweisschild am Bettchen erachteten es nicht alle Schwestern als wichtig sich daran zu halten. Im Laufe des Aufenthalts musste ich mehrfach die Schwestern und auch diverse Ärzte daran erinnern sich Kittel und Handschuhe anzulegen. Nachdem der erste Tag dort vorbei war, verließen mein Freund und ich die Station mit einem unguten Gefühl. Hatte ich, während der gesamten Zeit auf der ITS nicht ein mal im Krankenhaus angerufen um mich nach meinem Sohn zu erkundigen, hatte ich auf der Nachfolgestation jeden Abend das Gefühl anrufen und nachfragen zu müssen wie es ihm geht.

Im Laufe der Tage hatte unser Sohn wieder mehrere Abfälle. Aus diesem Grund wurde sein Antiepileptikum neu dosiert woraufhin es wieder besser klappte. Mit dem Umzug auf die Normalstation veränderte sich auch sein Trinkverhalten enorm. Nachdem er auf der ITS einige Mahlzeiten teilweise komplett getrunken hatte, schaffte er es dort kaum noch ohne einen Abfall nach dem anderen zu haben und musste wieder öfter sondiert werden. Ich versuchte gelassen zu sein, ich wusste, dass es solche Phasen gibt. Dennoch machten mich die Äußerungen diverser Schwestern zunehmend unzufriedener was die Gesamtsituation betraf. Hatten sie unseren Sohn bisher kaum gekannt, kamen sie plötzlich und versuchten mir zu erklären wie ich ihn zu füttern hätte und worauf ich achten solle – alles Dinge, die ich bereits seit 5 Wochen tat und ein gutes Feeling dafür entwickelt hatte. Nicht selten kam es vor, dass ich mir meine Tränen verkneifen musste nachdem eine Schwester mich versuchte eines besseren zu belehren, obwohl sie immer nur Momentaufnahmen mitbekamen.

Da unser Sohn eine Trinkschwäche hatte und immer wieder eine Trink-Reha im Raum stand, fragte ich an, ob es die Möglichkeit geben würde mit im Krankenhaus bei ihm bleiben zu dürfen. Ich wusste schließlich, dass er trinken kann, wenn er nur die Zeit dafür bekommt. Einige Tage später zog ich erneut ins Krankenhaus ein. Wir bekamen ein Überwachungszimmer in dem sich ein Bett für ein Elternteil befand. Unser eigenes Zimmer. Nach fast 9 Wochen konnte ich nun endlich Zeit mit meinem Sohn verbringen und ihn in aller Ruhe weiterhin besser kennen lernen. Die erste Nacht war die Hölle. Immer wieder piepte entweder sein Überwachungsmonitor oder aber seine Pressluftbrille über die er etwas Luft bekam. Wenn das nicht war, hatte er Hunger oder eine Schwester kam ins Zimmer um ihm die Medizin zu geben oder die Nahrung nachzusondieren. Gegen 3Uhr Morgen hätte ich heulen können, so übermüdet und erschöpft war ich und ich fragte mich ernsthaft, ob ich einfach meine Sachen nehmen und nachhause fahren soll. Aber ich blieb stark, denn ich dachte mir, dass wir zuhause auch Zeiten erleben werden in denen wir unter chronischen Schlafmangel leiden werden und in denen wir Nachts ebenfalls an unsere Grenzen kommen.

Nach einigen Tagen hatte ich mich an die Situation gewöhnt, nur das Füttern nachts war anstrengend, da er für jede Flasche mindestens eine Stunde gebraucht hatte. Mir war es dennoch wichtig ihn zu unterstützen und das mit ihm gemeinsam zu schaffen, denn nur, wenn er alle Mahlzeiten schaffen würde, würde die Magensonde entfernt werden und wir dürften dann hoffentlich bald heim. 4 Tage später ging zumindest schon mal die Magensonde und kam nie wieder.

Während der Zeit auf der Normalstation ging die Ursachenforschung wegen der Atemaussetzer weiter. Es erfolgten erneute Blutabnahmen gefolgt von neuer Panikmacherei. Unser Sohn wurde auf Cytomegalie und Toxoplasmose untersucht. Beide Krankheiten führen im schlimmsten Fall zu einer frühkindlichen Hirnschädigung. Die Tage bis zum Ergebnis war ich sehr angespannt und machte mir Sorgen. Glücklicherweise brachten auch sie ein negatives Ergebnis.

Immer wieder wurden Auslassversuche gemacht um ihn daran zu gewöhnen selbstständig, d.h. Ohne Atemunterstützung zu atmen und umso näher der eigentliche Entbindungstermin rückte, desto besser klappte es. Nach 3 oder 4 Versuchen konnte die Pressluftbrille endlich komplett weggelassen werden. Dennoch versuchten uns die Ärzte immer wieder von einen MRT zu überzeugen, was wir ablehnten. Das was man sehen könnte wäre sowieso nicht behandelbar. Eine Hirnblutung, die bereits im Mutterleib stattgefunden hätte, würde der Körper selbstständig resorbieren und eine frühkindliche Hirnschädigung wäre nicht behandelbar. So entschieden wir, dass es für uns nicht relevant ist, ob wir es heute wissen oder erst in einem oder zwei Jahren. Dennoch waren wir langsam ziemlich genervt, denn immer wieder wurde betont, dass Frühchen zwei Jahre Zeit hätten um alles aufzuholen und jetzt auf ein mal hatte man das Gefühl, dass sie unbedingt einen Grund finden wollen. Meiner Meinung nach war und ist unser Sohn einfach ein Spätzünder.

Einer der schönsten Tage war als wir zum ersten Mal mit dem Kinderwagen spazieren gehen konnten. Fast 10 Wochen hat es gedauert bis wir uns endlich außerhalb der Krankenhausmauern mit unserem Sohn zeigen dürften. Er bekam einen transportablen Überwachungsmonitor und in der Ablage des Kinderwagens lag eine Sauerstoffflasche für den Notfall. Das erste Mal hinaus zu dürfen ist gekennzeichnet von Gefühlen jeglicher Art. Einerseits macht sich sehr viel Freude und Euphorie breit und andererseits ist dort dieses mulmige Gefühl und die Angst, dass etwas passieren könnte. Immer wieder schaut man nach seinem Kind, schaut, ob es noch atmet, ob es schläft oder wach ist und der Überwachungsmonitor ist ebenfalls immer im Blick, auch wenn man weiß, dass er piepen würde, wenn etwas auffällig wäre. Mit der Zeit dürften wir immer öfter raus um einige Sonnenstrahlen zu erhaschen und somit ließ auch die anfängliche Aufregung immer mehr nach.

Nachdem ich mich nun schon gut mit der Gesamtsituation, ein Frühchen zu haben, arrangiert hatte,gab es eine Situation die mir zeigte, wie zerbrechlich ich doch tatsächlich immer noch war. Zur gleichen Zeit wie ich war eine gute Freundin von mir schwanger – wir lernten uns zwar erst am Anfang der Schwangerschaft kennen aber uns verband viel z.B. die Angst das Kind frühzeitig verlieren zu können oder aber das Interesse zur Fotografie / Modeln. Wir trafen uns in der Schwangerschaft häufig, gingen gemeinsam schwimmen und wollten sogar zusammen einen Geburtsvorbereitungskurs machen. Ihr Entbindungstermin wäre der 27.09. gewesen doch sie übertrug und wartete darauf, dass ihr Mädchen sich endlich auf den Weg machen würde. Ich versuchte sie aufzumuntern indem ich ihr sagte, dass sie nur auf den richtigen Moment warten würde. Am 01.10. bekam ich die Nachricht, dass die Kleine das Licht der Welt erblickt hatte. Meine Freundin lag nur eine Station von mir entfernt und so besuchte ich sie noch am gleichen Abend und wartete im Aufenthaltsbereich der Station auf sie. Wenige Minuten später kam sie gelaufen und schob ihre Kleine im Glasbettchen vor sich her. Als ich sie beide sah konnte ich meine Tränen nicht mehr für mich behalten. Ich freute mich einerseits so für sie und andererseits schmerzte diese Situation so sehr und riss die „alte Wunde“ noch ein mal schonungslos auf, denn der 01.10. war eigentlich mein Entbindungstermin, der Termin an dem mein Sohn auf die Welt kommen sollte. Noch heute schmerzt der Gedanken ein klein wenig und manchmal ein bisschen mehr. Ich denke es wird immer im Gedanken sein, dass es eigentlich sein Tag sein sollte und es doch ein anderer wurde.

Als ich bereits eine Woche mit im Krankenhaus verbrachte, kam endlich das erlösende Gespräch mit den Ärzten. Es ging darum, wann wir unseren Sohn am liebsten nachhause nehmen wollen würden. Ins Auge gefasst wurde die kommende Woche. Der eigentliche Entbindungstermin war schließlich auch schon verstrichen und unser Sohn schaffte seine Mahlzeiten ohne Probleme und auch die Atmung stabilisierte sich. Auf Anraten der Ärzte sollten wir einen CO² Sättigungsmonitor mit Nachhause bekommen diesen aber nur Nachts nutzen, da es ja tagsüber auch nicht mehr zu Abfällen gekommen war. Kurz vor der Entlassung gab es allerdings noch einiges zu erledigen, denn das Krankenhaus hatte alle Hilfsmittel für zuhause organisiert in die wir noch eingewiesen werden mussten. Von einer externen Firma kam daraufhin eine Frau, brachte ein Inhalationsgerät mit sowie den Überwachungsmonitor sowie einen Ambubeutel zum Beatmen und erklärte mir wie alles zu bedienen wäre. Später kam ein Mann der eine Notfallflasche Sauerstoff mitbrachte und mich ebenfalls in alles einwies. Vollgepackt mit den ganzen Utensilien lief ich später zu meinem Auto um es Nachhause zu bringen. In dieser Situation stellt man sich alle möglichen Fragen z.B.: Was die Ärzte erwarten, wie es zuhause läuft, wenn sie einem all die Dinge mitgeben wogegen andere Frühcheneltern diese Hilfsmittel alle nicht bekommen u.ä. Und ich fühlte mich ein wenig, wie ein Vogeljunges das einfach aus seinem Nest geworfen wurde um jetzt das Fliegen zu lernen.

Einen Tag vor der Entlassung bekam ich dann ein Reanimationstraining für den Notfall von der Stationsärztin. An einer Kinderpuppe musste ich die einzelnen Schritte die sie mir erklärte wiederholen. Die Ärztin erklärte mir, dass die Komplikationsrate gesunken ist seitdem sie die Eltern im Reanimationstraining schulen würden, wie lange es dauern würde bis der Krankenwagen kommt usw.

Am 8.10.14 bekam unser Sohn noch mal eine Blutabnahme. Der Oberarzt wollte ihn gern auf das Prada Willie Syndrom genetisch untersuchen lassen. Die Hypotonie als auch die Trinkschwäche würden dafür sprechen. Ich belächelte dies, stimmte der Blutuntersuchung zu und wusste insgeheim bereits, dass auch dieser Test negativ ausfallen würde. Nach einem ausführlichen Entlassungsgespräch konnten wir nach fast 11 Wochen nicht nur unsere Sachen packen sondern auch unseren Sohn endlich mit nachhause nehmen. Wir bedankten uns bei den Schwestern und bevor wir das Krankenhaus verließen statteten wir der ITS noch mal einen Besuch ab. Unseren Sohn in der Babyschale in die Mitte des Gangs gestellt, versammelten sich die Ärzte und Schwestern um ihn herum, begutachteten ihn und freuten sich mit uns, dass die Zeit nun endlich gekommen war dem Krankenhaus den Rücken zu kehren und weiterhin nach vorne zu blicken und auf das was uns erwarten würde. . .